George Tabori - Mein Kampf

Ein Nachmittag im Jahre 1908 in einem Männerwohnheim in Wien. Ein Ort für Erfolglose und Tagelöhner. Der jüdische Buchverkäufer Schlomo Herzl unterhält sich mit seinem Zimmergenossen Lobkowittz, als die Tür aufspringt und ein junger, unerfahrener Künstler den Raum betritt. Es ist der junge Adolf Hitler, der in Österreichs Hauptstadt Erfolg und einen Schlafplatz sucht.

So fängt das Theaterstück "Mein Kampf" von George Tabori an. Hätten die Zuschauer noch nie etwas von Adolf Hitler und von seiner Schreckensherrschaft von 1933 bis 1945 gehört, bei der mehr als 6 Millionen Juden auf grausame Weise ihren Tod fanden, wäre dieses Theaterstück etwas sinnlos, witzig und lächerlich, so war es aber sowohl faszinierend als auch erschreckend einen Blick ins Alltagsleben des Tyrannen zu werfen.

Tabori, dessen jüdische Mutter nur durch ein Zufall aus einem Konzentrationslager fliehen konnte, zeigt Hitler auf eine ganz andere Weise, die von Tim Preissel überzeugend aufgegriffen wird. In "Mein Kampf" erscheint Hitler durch seine kindliche und sture Art erstmals menschlich, obwohl nicht wirklich sympatisch. Auch Jan Torben Weinkof in seiner Rolle als Schlomo leistet großartige Arbeit und lässt die Zuschauer mitfühlen.

Die vordergründige Geschichte zeigt eine Männerfreundschaft, in der Schlomo eine gewisse Mutterrolle übernimmt, doch unter der Oberfläche spiegelt sich die Grausamkeit von Hitlers Taten wieder, sodass man immer mehr versteht, aus welchen Gründen er gehandelt haben könnte. Durch Bilder von den Wahlplakaten aus Hitlers Herrschaftszeit und Ausschnitten aus seinen Reden wird man an die vielen Toten erinnert und jeden Zuschauer fährt ein kalter Schauer über den Rücken. Auch, wenn die Reaktion der Zuschauer sonst sehr positiv ist und viel gelacht und diskutiert wird, wird es in solchen Momenten totenstill im Raum und man sieht den Schrecken in ihren Gesichtern. Durch die vulgären, aber witzigen Dialoge wird das Thema zwar etwas abgeschwächt, aber selbst nach velassen des Saales lässt einen der Gedanke nicht los, dass es einen Menschen gab, der so gewissenlos sein konnte und man überlegt sich: "Was wäre, wenn soetwas wieder passiert?"

Bevor ich das Stück gesehen habe und sogar nachdem ich das Buch gelesen habe, hatte ich gedacht, dass es geschmacklos und makaber sein würde ein Theaterstück über diesen furchtbaren Menschen anzugucken, aber jetzt bin ich froh es getan zu haben, weil ich erstmals verstanden habe, wieso er so war, wie er war. Wer die Tiefe dieses Stücks nicht verseht oder sich gar nicht damit befassen will, was vor fast 60 Jahren passiert ist, sollte sich etwas leichter verdauliches angucken z.B. Theatersport. Und wer eine Schwäche für korpulente Männer in Nachthemden hat, sollte es sich nicht entgehen lassen.

Katharina