"Es ist eigentlich ein Stück über die Liebe. Über die Liebe dieses alten jüdischen Mannes zu dem dummen, grausamen jungen Trottel Hitler."
(aus: Arbeitsjournal der Mein Kampf-Inszenierung im Männerwohnheim in der Meldaustrasse in Wien 2003)

Taboris "Mein Kampf" - Der inhaltliche Aspekt

"Als die Mutter starb, hatte das Schicksal in einer Hinsicht bereits seine Entscheidung getroffen. In deren letzten Leidensmonaten war ich nach Wien gefahren, um die Aufnahmeprüfung in der Akademie zu machen. Ausgerüstet mit einem dicken Pack von Zeichnungen, hatte ich mich damals auf den Weg gemacht, überzeugt, die Prüfung spielend leicht bestehen zu können", schreibt Adolf Hitler in seinem Buch "Mein Kampf".

George Tabori, der bekannte jüdische Theaterregisseur und Stückeschreiber, nahm diese Episode zum Anlass eine Farce voller beißendem Humor über die Tage zu schreiben, als Hitler, nach eigenen Angaben, völlig mittellos nach Wien zieht, um Künstler zu werden.

In einem Wiener Obdachlosenasyl (Männerwohnheim) des beginnenden 20. Jahrhunderts findet Hitler eine Bettstatt und trifft den älteren und lebensweisen Juden Schlomo Herzl, der sich des Provinziers fast wie eine Mutter annimmt und ihn nach Kräften fördert, pflegt und zu erziehen versucht. Doch der ungehobelte Hitler ist nicht nur mit dem Leben in einer Großstadt völlig überfordert, sondern fällt auch bei der Prüfung an der Akademie der Schönen Künste durch und kompensiert seine Erfahrung in der Suche nach einem Schuldigen (die Juden) und einem neuen Lebensziel: die Herrschaft über die Welt einschließlich Neuseelands. Der jüdische Bibelverkäufer Schlomo Herzl meint ihn mit Fürsorge und Liebe von seinem Wahn abbringen zu können...

Hitler steigert sich immer weiter in den Hass gegen die Juden hinein und zwischen Schlomo und ihm entwickelt sich eine Art Hass-Liebe, in der alle Facetten menschlicher Stärken und Schwächen von Tabori ohne Wertung gezeigt werden. Die großen menschlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge offenbaren sich bei Tabori durch seine typische Mischung von Witz und Trauer.
Dazu verwirbelt Tabori Kaddisch und Kalauer, Psalm und Pointe in einem grausig-kabarettistischen Kommentar des Theaters zu Hitler und der NS-Zeit. Nur Frau Tod erkennt das wirkliche Talent des gescheiterten Kunstmalers und sieht in ihm einen nützlichen Gehilfen.

"Mein Kampf" ist ein Stück voller Humor und Ironie mit einem befreienden und gleichzeitig bösen Blick auf einen jungen Tölpel aus Braunau am Inn.
Der erfahrene Theatermann Tabori ist ein Aufklärer, freilich aber nicht in einem emphatischen Sinne. Sein Werk ist vielmehr an Kafka und Beckett orientiert. Angesichts der absurden Realität betont er immer wieder die Inkompetenz des Friedvollen.
Als Apostel der Farce sieht Tabori im Theater einen Ort ohne jede Sentimentalität. Seine Trauer ist verwandt der absonderlichen Lakonie des Totengräbers im Hamlet.

Tabori sagte, dass er mit diesem Stück die Geschichte einer Freundschaft, ja, eine Liebesgeschichte schreiben wollte: die unmöglichste, die sich denken lässt. Alle Geschichten von Feindschaften seien im tiefsten Innern Liebesgeschichten: Jago und Othello, Faust und Mephisto. Natürlich beschreibt "Mein Kampf" von Tabori nicht den historischen Hitler in einer Liebesbeziehung zu den Juden, aber es wirft einen Blick auf emotional und psychologisch interessante Aspekte dieser Beziehung.

Die Farce als verzweifelter Versuch, nach Auschwitz noch zu lachen. Trotz Auschwitz. Der Witz als Waffe, als verzweifelter Versuch, Souveränität und Würde herzustellen in absolut unwürdigen Verhältnissen, in denen nicht die geringste Sphäre von Souveränität übriggeblieben ist. Allerdings, wenn man versucht, aus den Scherben von Menschlichkeit, die der Nationalsozialismus hinterlassen hat, das Garn zu spinnen, um damit den zerbrochenen Krug zu flicken, kommt dabei kein wasserdichtes philosophisch-moralisches System mehr heraus. Eine surreale Farce bestenfalls. Blasphemisch, frech, unverschämt, bitter. Ein Lachen, das einer/m immer wieder im Hals stecken bleibt, ein bitteres, gebrochenes, immer wieder dem Gestank der verbrannten Leiber trotzendes.
(aus: Arbeitsjournal der Mein Kampf-Inszenierung im Männerwohnheim in der Meldaustrasse in Wien 2003)

Taboris Stück ist dabei unweigerlich unterhaltend und äußerst witzig. Das Gelächter, das "Mein Kampf" produzieren möchte, ist ein ausdrücklich antifaschistisches. Es setzt das Wissen um den Holocaust immer voraus.