Inspirationen zu Alarm! (Schlachtengetümmel)

von Lars Klene

I. Rhetorische Fragen

Sie denken, Sie kennen Slapstick? Sie glauben, über Gagfeuerwerke alles zu wissen? Sie haben „Eins, zwei, drei“ von Billy Wilder inhaliert, kennen „How I met your Mother“ auswendig und können jeden Satz von Sheldon Cooper aus der „Big Bang Theory“ auswendig mitsprechen?
Sie denken über den heutigen Abend: „Na ja, mal wieder ´ne Komödie. Was soll schon passieren? Ich kenne eh´ schon alle Gags. Wird bestimmt ganz gemütlich.“? Sie glauben, diese Einstellung bis zum Schluss aufrecht erhalten zu können?
Sie sind sicher, dass Sie nicht schon nach drei Minuten vor lauter Lachen nicht mehr können?
Sie nehmen tatsächlich an, dass AMT dann Erbarmen mit Ihnen haben wird und Ihnen eine Atempause gönnt?
Sie hoffen auf Verständnis für den Zuschauer?
Sie glauben, wir können ein Stück von Michael Frayn ohne Tempo spielen?
Sie denken wirklich, wir könnten diese Maschine stoppen, nachdem der Vorhang sich geöffnet hat?

Sie liegen falsch.

Bitte legen Sie die Gurte an, stellen Sie das Rauchen ein, und zünden Sie ihren Nachbarn nicht an.
AMT Airlines wünscht Ihnen viel Spaß mit

ALARM!

II. Dialogus diabolorum

Mephisto tritt mit Sprechpuppe auf.

Mephisto: Du schon wieder!

Hermes: Entschuldige, aber ich bin überall zu Hause, also auch bei Dir, hier in der Hölle.

Mephisto: Hermes?

Hermes: Ja?

Mephisto: Das hier ist nicht die Hölle. Wir befinden uns in einem gutbürgerlichen Theater.

Hermes: Sag´ ich doch! Ein schlecht klimatisierter Raum, den man für unendlich lange Zeit nicht verlassen darf.

Mephisto: Ja, aber schau´ Dir doch diese Bühne an. Das ist doch einfach herrlich.

Hermes: Was? Was meinst Du?

Mephisto: Eine leere Bühne ist eine Stätte der Schönheit. Alles ist offen, alles kann sich noch entwickeln.

Hermes: So ein Quatsch. Aus Nichts kann sich nichts entwickeln.

Mephisto: Mein Gott sieht das anders.

Hermes: Eine leere Bühne ist nicht schön. Sie ist unentschlossen. Nichts weiter.

Mephisto: Ich bin der Geist, der stets verneint. Ich glaube nicht, dass es sich lohnt, eine Geschichte zu erzählen. Alle Voraussetzungen dafür zu schaffen und sie dann nicht zu erzählen, das ist die Hölle.

Hermes: Nö, das ist Masochismus.

Mephisto: Nö. Masochismus ist, wenn man sich die Geschichten anschaut, die den Leuten da unten heute passiert sind.

Hermes: Echt? Zeig´ mal.

Mephisto: Hast Du mir nicht zugehört?

Hermes: BITTE!!! Das ist besser, als auf eine leere Bühne zu starren.

Mephisto: Oh, die Bühne ist nicht leer. Sie ist randvoll mit Menschen. Und gerade das macht sie so leer.

Hermes: Also, wenn die Bühne leer bleibt, … dann kannst Du mir genau so gut zeigen, was Du meinst.

Mephisto: Du hast es so gewollt.

Immobilien

Mephisto: Na? Was sagst Du?

Hermes: Also, ich fand´ es eigentlich ganz lustig.

Mephisto: Ich fand´s zum Heulen.

Hermes: Aber das war jetzt doch nicht repräsentativ für unser Publikum.

Nicht alle Geschichten verlaufen so … chaotisch.

Mephisto: Nicht alle. Aber fast alle. Schau´ Dir das hier mal bitte an.

Hermes: Du klingst wie Stefan Raab.

Alarm

Hermes: Jetzt weiß ich, warum das „TV-Total“-Logo zwei Hörner hat. Ich verstehe das Prinzip. Du zeigst mir eine Nichtigkeit nach der anderen, ich soll mich darüber amüsieren, aber irgend etwas fehlt da doch noch. Was willst Du mir verkaufen? Ach ja, und wo ist Deine Showband?

Mephisto: Was ich Dir verkaufen will? Die Wahrheit! Das ist die Wahrheit. Das ist mein Stück. Die Bretter, die die Welt bedeuten, werden zur Planke der Wahrheit, die über mein Haifischbecken der Lüge ragt.

Hermes: Willst Du das wirklich so sagen?

Mephisto: Und ich sage Dir: jeder einzelne, der dort unten sitzt, ist austauschbar. Jeder einzelne, der dort unten sitzt und sich für ein Individuum hält, ist eine mehr oder weniger gelungene Raubkopie vom Original.

Hermes: Und wer ist das Original?

Mephisto: Eine sehr gute Frage. Wer ist hier das Original? Schau´ Dir das hier mal bitte an.

Doppelgänger

Hermes: Jetzt, wo ich das hier gesehen habe, will ich auch nur noch nach Hause.

Mephisto: Oh, das wollten unsere ersten Versuchskandidaten auch.

Reste

Mephisto: Zu Hause ist auch nicht alles besser.

Hermes: Ach ja … zu Hause. Wo ist das eigentlich?

Mephisto: Wie meinst Du das?

Hermes: Na ja, früher wusste ich das mal. Aber immer, wenn ich jetzt nach oben blicke, sehe ich dort nur Leere. Ich sehe in mich hinein und habe Erinnerungen, und ich glaube, dass sie wahr sind, aber das ist alles so weit weg.

Mephisto: Es ist einsam auf dem Olymp geworden. In unseren Theatern herrscht seit langem gähnende Leere. Es wird ja auch immer das gleiche Stück gegeben. Supertalent sucht Bohlen zum Prügeln.

Hermes: Neulich habe ich auch nach oben geschaut.

Guck´ jetzt weg!

Mephisto: Das macht irgendwie Hoffnung.

Hermes: Das ist so gut, das muss sich irgendwer ausgedacht haben. Was ist die beste Idee, die Zeus jemals hatte?

Mephisto: Gott!

Hermes: Künstlername! Also?

Mephisto: Keine Ahnung!

Hermes: Die Schwerkraft! Sieh´ Dir das mal an. Heute auf der Firmenfeier …

Toasters

Mephisto: Großartig!

Hermes: Also, wenn das die Leere ist, die Du meinst, dann kann ich nur sagen: Mehr davon!

Mephisto: Die einzige Lehre, die man aus der Leere ziehen kann: Sie ist göttlich komisch.

Hermes: Und irgendwie lehrreich.

Mephisto: Die Leere ist der beste Lehrer.

Hermes: Lehrreich lehrte der leere Lehrer.

Mephisto: Hermes?

Hermes: Mephisto?

Mephisto: Klappe.

Hermes: Die letzte?

Mephisto: Ja.

III. Horror vacui

Was will ich mit Alarms and Excursions ausdrücken? Was liegt meiner Philosophie zu Grunde? Dinge, die mich bewegen? Die Ungerechtigkeit im Finanzsystem, mein häufiges Wegsehen, ziemlich viele negative Gedanken, mein Körperbild betreffend, dass ich mich gerade eben nicht bei Constanze gemeldet habe, dass ich mich nicht traue, anzufangen, dass ich nicht einmal beginne, dass ich meine Selbstzerstörung niemals ausschalten kann, dass es immer weiter zählt, diese Leere in meinem Kopf, diese Angst, dem Leben keine Bedeutung abgewinnen zu können, dieses Gefühl von
ICH GEGEN DIE LEERE.

Nehme ich das mal als Startpunkt, würde einiges für eine komplett leere Bühne sprechen. Nur die Schauspieler und ihre Geschichte zählen. Problematisch dabei ist die Abgeschmacktheit des Prinzips, das zuletzt vor 100 Jahren bei Wieland Wagner für Furore sorgte. Also soll die Bühne leer sein, und zwar auf eine originelle Art. Wie könnte man das bewerkstelligen? Originell leer wäre eine Bühne, die so tut, als ob sie leer wäre. Oder wäre es origineller, wenn sie so täte, als ob sie voll wäre? Aber wie könnte man das machen, wenn nicht über kompliziert erzeugte Hologramme oder unmöglich zu finanzierende Lichteffekte?

Wen die Bühne so tut, als ob sie voll wäre, dann wären da zwar Dinge, aber sie wären nicht zu sehen. Oder: wir alle tun so, als ob wir tatsächlich Dinge sehen, die aber tatsächlich nicht da sind. Kurz: Pantomime. Das stellt unsere Darstellungskunst aber auf eine große Prüfung.

Gehen wir von dem aus, was wir bislang haben, so nehmen wir eine Trennwand von IKEA, diverse Aufkleber, um andere Locations zu markieren, eine Bar. Für sich genommen, sind das aber nur einzelne Requisiten, die keinem gemeinsamen Konzept angehören, sondern nur von den basalen Anforderungen der Szene diktiert werden.

Aus einem Guss wäre schon besser.

Was sagt mir Alarms and Excursions denn? Chaos ist komisch. Hermes hätte seine helle Freude. Man müsste einen Prolog schreiben, in dem Hermes Zeus amüsieren soll. Oder soll er ihn beschämen? Man könnte auch Mephisto auftreten lassen. Dann reden die beiden über … ja, genau, über was eigentlich? Ist es nicht ein wenig abgeschmackt, ein neues Stück zu schreiben, das das alte erklärt? Stücke bedürfen keiner Entschuldigung.

Was sagen mir die einzelnen Stücke denn?

Alarm: Egal, wie sophisticated Du tust, Du bist hemmungslos überfordert mit der Bewältigung des Alltags. Wie Tschechow sagte: Jeder Idiot kann mit einer Krise fertig werden. Es ist der Alltag, der uns fertig macht. Bei Alarm kommt noch hinzu, dass die sogenannten Segnungen der Zivilisation das Leben erst recht zur Hölle machen.

Aufzählung gefällig? Klink, summ usw. Worüber wollten sie nochmal reden? Es ist schon so lange her. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Die Dinge führen ein Eigenleben und haben schon lange die Kontrolle über uns Menschen gewonnen. Klingt irgendwie nach Matrix. Die Dinge mischen sich ein und verhindern, dass irgend jemand irgend jemand anderen versteht.

Doppelgänger: Du bist nicht einzigartig. Du bist kein Individuum. Hallo, Brian! Millionen Millionen Paare leben in dem gleichen Zimmer, im gleichen Leben. Jeder ist austauschbar. Von jedem gibt es eine Version 2.0 mit weniger Fehlern. Jeder hat andere Felder mit Optimierungspotenzial: Orientierung im Dunkeln, Wiedererkennung von Autos, Fixierung auf Autos, Witzischkeit und ihre Grenzen. Letzten Endes ist sogar der eigene Name austauschbar, weil das Gegenüber ihn ohnehin vergisst, ohnehin kein Interesse daran hat und im übrigen auch selber inkognito unterwegs ist. Unterhaltungen können gelingen, aber nur unbeabsichtigt: wirklich miteinander reden nur Miles und Lynn, und nur Gott kann ihre komplette Unterhaltung verstehen. Der Zuschauer kann das ebenfalls. Aber die Charaktere selbst können ihr Leben nicht verlassen und ihre Entscheidungen nicht revidieren. So bleiben sie austauschbar in austauscharen Hotelzimmern, obwohl sie eigentlich viel lieber woanders wären. Nämlich zu Hause.

Reste: siehe Alarm.

Guck´ jetzt weg: Kulturtechniken wie das Ignorieren der Bordansagen sind überlebenswichtig (Reduktion der Redundanz). Aber wenn man einfach nur leben will, sperrt man das Wichtigste aus: das Leben. Einfach nur leben geht nämlich nicht. Wie man´s macht, macht man´s falsch.

Toasters: Deutlicher geht’s nicht. Das Leben ist ein Scherbenhaufen, egal, wie sehr man sich anstrengt. ENTROPIE und der zweite Hauptsatz der Thermodynamik. Immobilien: Das Herzstück. In diesem Stück rennen alle aufgeregt hin und her. Sie fahren nach Gatwick, fahren nach Heathrow, sie sind in Victoria und im Nagelsack, aber weder in der Tollen Knolle noch im Königlichen Krankenhaus finden sie einander. Sie bewegen sich mit größter Energie aufeinander zu – und kommen sich doch keinen Schritt näher. Und als sie endlich fast beieinander ist, erkennen sie sich nicht einmal. Sie sind unbeweglich. Sie wollen sich bewegen und erstarren in der Illusion, dass Architektur dynamisch sein kann. Sie hören einander nicht zu – sie verpassen sich. Sie hören einander zu – und auch das bringt nichts. Es ist zum Verrücktwerden. Es ist lächerlich. Es ist monolothisch.

Herz an Herz: Man begibt sich in Situationen, die kommunikativ unmöglich zu bewältigen sind. Man kommuniziert dennoch – oder versucht es verzweifelt, auch wenn das Resultat dieser Versuche völlig hirnverbrannt wirkt. Niemand versteht niemanden, und dennoch tun alle so, als ob. Ein gemeinsamer Subtext wird unterstellt. Aber die Frauen wollen nicht sofort von jedem abgeschleppt werden, und die Männer wollen mehr als nur über den Urlaub reden. Da kann man nur noch in das homerische Gelächter am Schluss einstimmen.

Und damit wären wir beim Thema: die Zuschauer lachen ebenfalls – wenn wir unsere Sache gut machen. Damit sind sie in einer ähnlich privilegierten Situation wie Gott, da sie mehr wissen als die Charaktere. Und jetzt kommt´s: Wie mache ich den Zuschauern klar, dass sie sich selbst beobachten? Wie mache ich deutlich, dass sie auf der Bühne Ausschnitte aus ihrem eigenen Leben sehen? Es reicht in diesem Fall nicht aus, dass sie da auch selbst drauf kommen. Es muss ihnen deutlich gemacht werden – durch einen Prolog. Und dadurch, dass die Schauspieler im Publikum sitzen.

Toaster! Tisch! Summer! Alarmanlage! Auto! Unter dem Bett!

Examensklausur:

Alarm!
Doppelgänger
Reste
Guck´ jetzt weg!
Herz an Herz
Toaster
Immobilien